Samstag, 28. Januar 2017

Die Rolle der politischen Lethargie

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Das Interesse an Politik und Demokratie geht bei vielen nicht über das Abgeben der Stimme bei einer Wahl hinaus. Nach der Betrachtung einiger Statistiken wird deutlich, dass etwa in Deutschland kaum die Hälfte der Bevölkerung an Politik interessiert ist, dazu ein Zitat: "So ergab im Jahr 2003 eine repräsentative Umfrage, dass 40 Prozent der regelmäßigen Wähler nur schwach oder gar nicht politisch interessiert sind." (Für Gelegenheitswähler gelten 56% und für Nichtwähler 76%.) Nun ist ein übliches Verständnis von Demokratie jenes, dass die Mehrheit die politischen Entscheidungen trifft, indem sie von Volksvertretern repräsentiert wird. Die Mehrheit der Bevölkerung ist aber nur schwach oder gar nicht an Politik interessiert. Fraglich ist also, warum das so ist und welche Probleme dieser Zustand aufwirft.

Denn es ist unschwer festzustellen, dass bei einem derartig niedrigen Interesse an Politik, unsere Volksvertreter geradezu verführt werden in anderem Interesse zu handeln als in jenem der Mehrheit der Bevölkerung. Dass sie dies auch machen unterstreicht Jean-Claude Junckers berühmtes Zitat: "Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt." Auch wenn unsere Bevölkerung von politischer Lethargie erfasst ist, so dämmert es doch Jahr für Jahr immer mehreren, dass die Interessen des Kapitals schwerer wiegen als jene der Bevölkerung – und diese Interessen sind ein Mehr an Profit und Wachstum, nicht etwa Nachhaltigkeit oder Umweltschutz. Die unzähligen Fälle von Lobbying oder Parteifinanzierung durch mächtige Unternehmen, widerlegen diesen Verdacht nicht.

Was hat zur politischen Lethargie beigetragen?
An dieser Stelle seien einige Faktoren aufgezählt, die Politikverdrossenheit und den Mangel an Interesse begünstigen, wobei besonders die Rolle der Medien hervorzuheben ist. Welcher Zustand ist notwendig, dass jemand davon abgehalten wird sich politisch zu engagieren? Diese Frage lässt sich vermutlich auf viele Arten beantworten, aber ein Szenario ist besonders vielversprechend: Jemand der vor einem großen Rätsel, voll Verwirrung, steht und zusätzlich den Eindruck bekommt, das Problem sei ihm über den Kopf gewachsen – nur Experten können es lösen, der wird sich, wenn dann noch von ihm verlangt wird eine Meinung zu jedem beliebigen Thema zu haben, wenig am politischen Diskurs beteiligen. Aber wie realistisch ist dieses skizzierte Szenario?

Psychologen wie Rainer Mausfeld (Warum schweigen die Lämmer) oder Journalisten wie Ulrich Teusch (Lückenpresse) zeigen, dass es tatsächlich sehr realistisch ist, denn unsere Medien sind bei weitem nicht so objektiv und vollkommen in ihrer Berichterstattung, wie sie das sein sollten. Das heißt nicht, dass sie etwa schlicht Lügen oder Unwahrheiten verbreiten (müssen), obwohl das auch oft genug der Fall ist (Beispiel: Bericht über russische U-Boote vor Schweden, welche dann doch deutscher und schwedischer Herkunft waren). Am wirkungsvollsten kann politische Lethargie durch Verwirrung erzeugt werden, sprich entscheidende Informationen werden nicht kommuniziert, nicht in ihren Kontext eingefügt oder in einen falschen eingebettet. Das Beispiel der angeblichen russischen U-Boote ist hier sehr passend, denn die Falschmeldung wurde nur von den wenigsten korrigiert, als man bereits über die tatsächliche Herkunft der U-Boote Bescheid wusste. Eine ähnliche Methode ist die der Fragmentierung: Von Ereignissen wird unabhängig voneinander und ohne deren Zusammenhänge berichtet, wobei ein Übermaß an Details kommuniziert wird aber die wichtigen Ursachen dennoch unbeleuchtet bleiben. Das sieht man beispielsweise am Syrien-Konflikt, bei dem die Ursache – eine iranische und eine katarische Pipeline, welche durch Syrien führen sollen – nicht untersucht (oder zumindest nicht veröffentlicht) wird. Ohne diese wichtigen Ursachen und Zusammenhänge ist es aber beinahe unmöglich sinnvolle Schlussfolgerungen zu ziehen und die Situation korrekt einzuschätzen.

Das ganze geschieht vor dem Hintergrund geopolitischer und finanzieller Interessen. Einerseits sind viele der Verlage kapitalmarktorientiert und daher aufgrund der Beteiligungen ihrer Aktionäre nicht völlig unabhängig oder überhaupt nur wenig unabhängig. Nun ist es auch bekannt, dass so mancher Milliardär, wie George Soros, gerne Einfluss auf die öffentliche und die veröffentlichte Meinung ausübt. Man muss in den Beteiligungen an Medien also mindestens ein potenzielles Risiko sehen, wenn man nicht gleich eine Einflussnahme annimmt. Einen weiteren Hebel der die Berichterstattung unserer Medien zu manipulieren vermag ist die Werbung: Die deutschen Zeitungen erzielten etwa 2008 rund zwei Drittel ihres Umsatzes mit Anzeigen und Werbung. Diese Werbekunden gilt es nicht zu vertreiben, ja im Grunde sind sie wichtiger als die Leser - wenn diese nur ein Drittel des Umsatzes ausmachen – jedoch werden sie für die Auflage und die Klickzahlen gebraucht. Abschließend seien an dieser Stelle noch die vielen Think-Tanks und Stiftungen Amerikas erwähnt, welche unter deutschen Journalisten sehr beliebt sind. Sie sollen der transatlantischen Zusammenarbeit und dem Informationsaustausch dienen, aber angesichts der amerikanischen Übermacht ist es schwer zu glauben, dass ihr Zweck nicht die Durchsetzung geopolitischer Interessen der USA ist.

Außerdem dem Desinteresse zutragend ist die Obrigkeitshaltung vieler Politiker, welche die alleinige Zuständigkeit für die Politik für sich beanspruchen. Gerne verwendet dieser Typ der Volksvertreter auch eine Vielzahl der vernebelnden Begriffe aus dem neoliberalen Vokabular, unter denen sich keiner etwas konkretes Vorstellen kann. Beispiele sind: Harmonisierung, Strukturanpassung etc. Jemand der sich im Kontext dieser Zustände politisch Beteiligen will, sich eine Meinung bilden will, wird leicht überfordert, denn das ist nicht ohne Zeitaufwand möglich. Zeit die nicht alle von uns haben oder schon für Job und Kinder brauchen. Unter der Berücksichtigung dieser Annahmen entsteht dann auch der berechtigte Verdacht, dass viele Menschen darauf warten, dass jemand (oder eine Partei) "kommt" und den Zustand ändert, sodass sie nicht selbst aktiv werden müssen („Nach Kanzler Mustermann kann ja nichts schlechteres mehr kommen...“).

Zusammenfassend lässt sich der Prozess (vom Interesse) zum Desinteresse mit dem Konzept der erlernte Hilflosigkeit erklären. Dieses beschreibt die Erwartung eines Menschen, dass er bestimmte, ihn betreffende Prozesse nicht beeinflussen kann und unabhängig davon, wie er handelt, immer mit dem gleichen, negativen Ergebnis konfrontiert wird. Daraufhin beginnt er diesen Zustand zu akzeptieren und kämpft nicht mehr dagegen an. Etwa wenn ein amerikanischer Staatsbürger zur Prsädidentschaftswahl die Entscheidung zwischen Demokraten und Republikanern hat, aber egal wofür er sich entscheidet, Krieg (der USA gegen andere Länder) wird immer ein Resultat sein.

Politische Lethargie im Kontext der Demokratie
Wer eine Demokratie anvertraut bekommt, muss sein demokratisches Recht und seine Verantwortung auch wahrnehmen. Denn er ist für die Entscheidungen der Politiker, insofern mitverantwortlich, da er diesen zustimmt oder sie ablehnt. Eine Enthaltung bedeutet jedoch nicht ein Entgehen der Verantwortung, denn dadurch wird den regierenden freie Hand gegeben.

Ein Beispiel: Ein Mitwirken an Kriegen im Nahen Osten würde in der deutschen Bevölkerung höchst wahrscheinlich mehrheitlich abgelehnt werden. Da aber die Bevölkerung ihre Ablehnung nicht aktiv der Regierung demonstriert, ist sie mitverantwortlich für die Folgen der Tornado-Aufklärungsflüge und des US-Drohnenterrors, der von Rammstein gesteuert wird.

Die politische Teilnahmslosigkeit ist also nicht für alle ein Problem, jene Volksvertreter, die ihre Entscheidungen gerne etwas losgelöster vom Volk fällen möchten, profitieren davon. Je größer das politische Desinteresse in der Bevölkerung, umso mehr Korruption wird ermöglicht, ohne Widerstand hervorzurufen. Da Politiker ihrer Bevölkerung keine Rechenschaft schuldig sind, kann nur durch aktive Beteiligung an Politik eine Politik im Sinne der Gemeinschaft herbeigeführt werden.

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